DIE KARRIERE EINES WIENER NEUSTÄDTERS
aus: G. Weinzettl, Die Karriere eines Wiener Neustädters, Der Daimlerpfeil 50, Dezember 2024, 1-13. (Sektion Austro Daimler)
Vorwort
Ich bin der Sohn von Wiener Neustädter Eltern der Geburtsjahre 1898 und 1900. Mein Vater hat die Entwicklung der drei großen Industriezweige – Flugzeuge, Eisenbahnen, Automobile – selbst erlebt und war somit ein typischer Vertreter der damals aufblühenden Industriegesellschaft.
Ich habe mich daher entschlossen seine Biographie aufzuzeichnen. (Hans Markowitsch)
Die Karriere
Mein Vater wuchs in Wiener Neustadt unter einfachsten Verhältnissen in den damaligen Vorstadt-Sparkassenhäusern auf.
Die Technik und deren Entwicklung war damals für junge Leute wohl das interessanteste Gebiet überhaupt.
Die Verbindung zu den drei großen Industriewerken Wiener Neustadts begann für Franz Markowitsch am Flugfeld, wo man auf dem Boden liegend beobachten konnte, ob ein Flieger schon abgehoben hatte oder nicht. Dieses Abheben wurde in Zentimetern gemessen oder geschätzt. Die Folge dieses Interesses war später der Bau eines nicht ganz kleinen Modell-Flugzeuges mit einer Spannweite von immerhin ca. 4 m. Das Ergebnis war eine Bruchlandung am Bahndamm hinter den sog. Sparkassen-Häusern. „Wir kamen zerschunden nach Hause“ war die Aussage meines Vaters. Das Flugmodell hat den Absturz nicht überstanden und somit war der fliegerische Teil der Karriere meines Vaters in Wiener Neustadt abrupt beendet.

Die Lehre
Es folgte eine Lehre zum Maschinenbauer bei der Locomotiv-Fabrik inklusive Kesselprüfung, denn der Berufswunsch ging damals in Richtung Lokführer.
Aus militärischen Beständen erhielt während des 1. Weltkrieges die Locomotiv-Fabrik einen defekten Lastwagen zur Verwendung als Transportmittel. Mein Vater wurde gefragt, ob er Interesse am Automobil hätte. Dies wurde mit ja beantwortet, sodass mein Vater auf diese Art zum ersten Mal mit einem Automobil in Berührung kam. Dieser Lastwagen war, wie gesagt, defekt und musste instandgesetzt werden, was meinem Vater auch gelungen war. Das besorgte und defekte Getriebe hatte 4 Rückwärts- und nur 1 Vorwärtsgang. Das war so nicht gedacht. Es gelang, was bei der damaligen Ausführung möglich war. die Zahnräder im Differential um 180 Grad zu drehen, sodass die Drehrichtung umgedreht war, der Lastwagen 4 Vorwärts- und nur 1 Rückwärtsgang hatte.
Im Oktober 1917 wurde meinem Vater gemäß Prüfungszeugnis die Fahrerlaubnis als Führer eines Kraftfahrzeuges erteilt.
Mit diesem o.a. Fahrzeug erfolgten Fahrten während des 1. Weltkrieges nach Ungarn (heute Burgenland) um Lebensmittel für die Belegschaft zu transportieren. Ungarn hat damals an seinen Grenzen dafür gesorgt, dass nicht allzu viele seiner Lebensmittel nach Österreich gelangen konnten. Die ungarische Politik war damals gegenüber Österreich restriktiv.
Nach Beendigung der Tätigkeit in der Locomotiv-Fabrik ging mein Vater im Jahre 1919 zu Austro-Daimler in Wiener Neustadt. Im Laufe der Jahre erfolgte dann der Eigenbau eines Motorrades, Motor mit ca. 200 ccm. Der Bau des Motorrades fand in einem Schuppen in den Vorgärten der „Sparkassen-Häuser“ statt unter Zuhilfenahme einer Fußdrehbank – woher diese gekommen sein mag? Ein für diesen Umstand doch recht aufwendiges Vorhaben. Dieses Motorrad wurde 1927 in Wiener Neustadt offiziell in Betrieb genommen.
Sein Hobby
In seiner Jugendzeit in Wiener Neustadt war das Hobby meines Vaters das Bergsteigen. Ausgedehnte Wanderungen, z.B. zu Fuß von Wiener Neustadt über Bad Fischau auf die Hohe Wand und wieder zurück an einem Tag waren das Programm. Er war auch Mitglied bei den „Naturfreunden“, sowie auch Mitglied im Gesangsverein.
Seine Höchstleistung in dieser Zeit war die Besteigung des Großglockners sowie auch weiterer Berge der dortigen Region, z.B. Kitzsteinhorn, Dachstein. Von diesen Fahrten und Unternehmungen hat mein Vater bis an sein Lebensende geschwärmt. Ein Tourenbuch Ist noch vorhanden.
Austro Daimler
Nach Beendigung seiner Tätigkeit in der Locomotiv-Fabrik begann er seine Tätigkeit bei Austro-Daimler im Jahre 1919. Bei Austro-Daimler war es seinerzeit üblich, dass die Mitarbeiter manchmal Dienst in der Feuerwehr-Garage leisten mussten. Von hier wurden bei Bedarf auch Fahrer abgestellt. Nachdem für Prof. Ferdinand Porsche ein Fahrer gesucht wurde, da sein Haus- und Cheffahrer, Herr Goldinger nicht anwesend war, hat man diesem meinen Vater zugeteilt, mit dem Erfolg, dass er weiterhin zu Fahrdiensten für das Haus Porsche herangezogen wurde. Dies hatte Prof. Porsche so bestimmt für den Fall, dass sein Fahrer, Herr Goldinger, abwesend sei. Auf diese Weise kam mein Vater mit der gesamten Familie von Gen. Dir. Prof. Ferdinand Porsche in Berührung.
Rein technisch gesehen hat Prof. Porsche schon Jahre zuvor Materialien verwendet bzw. zusammengestellt, die für die Herstellung von Motorblock und Kolben wichtig waren. Hierbei fehlt mir nähere Kenntnis. Es ging jedoch um die verschieden starke Ausdehnung von Stahl und Aluminium bei der Verwendung für Motorgehäuse und Kolben, sodass die Fahrzeuge nach Motorüberholungen per Anlasser gestartet werden konnten. Bis dahin war es auf Grund des hohen Reibungswiderstandes in den Motoren nicht möglich die Fahrzeuge elektrisch zu starten. Die Fahrzeuge wurden angeschleppt. Allerdings bedingte die Konstruktion von Prof. Porsche bis dahin für ungewöhnliches Spiel bei der Kolbenanpassung.
Es gab später in Hamburg eine ernste Diskussion zwischen meinem Vater und der seinerzeit wohl führenden Zylinderschleiferei und Motorenwerkstatt C. Baguhn. Die Passmaße zwischen Zylinder und Kolbendurchmesser wollten von C. Baguhn nicht akzeptiert werden, da damit ein Motorlauf ohne starke Motorgeräusche – Kolbenkipper – nicht möglich sei. Erst nach intensiven Diskussionen, bis zur Drohung des Abbruchs der Geschäftsbeziehung wurden die vorgegebenen Maße akzeptiert. Die Konstruktion von Prof. Porsche hat sich auch hier durchgesetzt.
Direktor Herbst
Mit dem Weggang von Prof. Ferdinand Porsche zu Mercedes wurde Dir. Wilhelm Herbst sein Nachfolger. Dir. Herbst war als „Abbauminister“ höchst unbeliebt, da er nach der Verkleinerung des Werkes das Personal merkbar reduzieren musste. (Die große Nachkriegslast von Austro-Daimler). Auf Empfehlung trat Dir. Herbst an meinen Vater heran um ihn als Fahrer und techn. Berater für geplante Händlerbesuche in ganz Deutschland zu engagieren. Dieses Angebot hat mein Vater angenommen und ist mit Dir. Herbst durch ganz Deutschland gereist und dann als Reisemonteur überwiegend in Deutschland geblieben.
Mein Vater hat immer nur anerkennend über Dir. Herbst gesprochen und sich immer gerne an diese Zeit erinnert. Leider ist Dir. Herbst in Steyr dem seinerzeitigen Aufstand zum Opfer gefallen.
Reisemonteur
Während dieser Zeit als Reisemonteur erhielt mein Vater den Auftrag einen Austro-Daimler vom damaligen Auslieferungslage Deutschland in Passau nach Berlin zu überführen, Empfänger des Fahrzeuges war ein „Baron Kubic“ (nähere Daten sind nicht bekannt). Vertraglich war Berlin als Lieferort festgesetzt. Der Kunde wollte schon in Passau das Fahrzeug fahren. Dies musste mein Vater ablehnen, der Kunde fuhr mit, er war schon in Berlin für ein Autorennen auf der AVUS gemeldet (damalige Rennstrecke). Mein Vater hat nachgegeben um den Kunden zufriedenzustellen und ist eine Runde auf der AVUS selbst gefahren. Damals gefahrene Höchstgeschwindigkeit mit einem Serienwagen 3 ltr. Austro-Daimler betrug 170 km/h. Dieses Fahrzeug wurde vom Kunden aufgerüstet, was definitiv aber abrüsten bedeutete. Es wurden alle Teile, die nicht zum Schnellfahren notwendig waren entfernt, wodurch das Fahrzeug später 205 km/h erreichte.
In diese Zeit fiel auch der Umzug des Austro-Daimler-Auslieferungslagers von Passau nach Berlin –Kaiserin-Augusta-Allee, später Nestorstraße.
Nach Hilfe bei der Einrichtung der Austro-Daimler Vertretung in Hamburg wurde er als Werkstattleiter und Werkstattmeister eingestellt.
Hochzeit in Wiener Neustadt
Sylvester 1929 heiratete mein Vater im Dom zu Wiener Neustadt natürlich eine Wiener Neustädterin.
Nach dem Wechsel in der Firmenleitung von Austro-Daimler machte sich mein Vater mit einer Werkstatt speziell für Austro-Daimler selbstständig. (Gewerbeanmeldung 10/1929). Dies geschah auch auf Zureden mehrerer Kunden – es gab wohl bei der Austro-Daimler Vertretung einige Probleme, über die mir aber nichts Näheres bekannt ist.
Der Beginn der Ehe sowie die Gründung der eigenen Werkstatt fielen in die schlechte wirtschaftliche Lage der damaligen Zeit, sodass der Anfang sicher nicht nur Freude bereitet hat, aber durchgestanden wurde. Meine Mutter hat sich aktiv auf dem kaufmännischen Sektor eingeschaltet.
Die Meisterprüfung
Die Meisterprüfung für das Maschinenbau-Handwerk legte er im Jahr 1928 in Hamburg ab. Zu dieser Meisterprüfung gibt es eine nette Anekdote:
Mein Vater wollte das in Wiener Neustadt selbst gebaute Motorrad mit einem höheren Motor Hubraum versehen, wozu ein neuer Zylinderkopf notwendig war. Diesen Zylinderkopf hat er als Meisterstück für die Meisterprüfung angefertigt. Auf eine Vorhaltung der Prüfungskommission „so viel Arbeit hätten Sie nicht machen müssen“ erklärte mein Vater, dass er das ganze Motorrad schon gebaut hätte und dass dieser Zylinderkopf zur Erhöhung des Zylinderinhaltes diene. Daraufhin erschien die gesamte Prüfungskommission in der Austro-Daimler Vertretung HAGA um sich das Motorrad anzuschauen.

Zum Bau des Motorrades gibt es zwei herausstechende Merkmale: der Tank war aus zwei Kupferhälften herausgetrieben und der Zylinder aus „Stahl herausgestochen“, eine nicht ganz gewöhnliche Herstellungsart. Lediglich das Getriebe war ein Zukauf in der damaligen Zeit.
In diesen Jahren der Selbständigkeit freute sich meine Mutter besonders über Ausfahrten zum Tierpark Hagenbeck in Hamburg, um die Werkstattrechnungen meines Vaters zu kassieren (Elektronische Überweisungen gab es damals noch nicht). Dies kam einige Male vor. Meine Mutter erzählte bis ins hohe Alter von diesen „Inkassofahrten“, da sie bei diesen Gelegenheiten im Tierpark herumspazieren konnte. Immerhin fuhr die Familie Hagenbeck Austro-Daimler Fahrzeuge aus Wiener Neustadt. (Heute arbeitet ein Mitglied der Familie Hagenbeck als Zoo-Direktor im Tierpark in Wien Schönbrunn.)
Interessant und heute gar nicht mehr vorstellbar ist z.B. die Tatsache, dass Fahrzeuge nach Motorinstandsetzungen eingefahren werden mussten. Hierbei wurde das Fahrzeug mit möglichst geringer Drehzahl sehr gefühlvoll bewegt und über eine Drehzahl von 1000-1500 erst langsam und dann sukzessive an höhere Drehzahlen und somit auch schnellere Tempi gewöhnt.
Dieses Einfahren wurde von einigen Kunden nicht selbst durchgeführt, sondern sie beauftragten „ihren Meister“ damit. Auf diese Weise haben mein Vater und damit auch meine Mutter viele wunderschöne Gegenden im Bereich Lüneburger Heide, Ostsee usw. kennengelernt. Es kam sogar vor, dass die Frau eines Kunden bei meinem Vater anrief und ihn darauf aufmerksam machte, dass sich im Fahrzeug warme Decken befänden und die er gebrauchen möchte, damit seine Frau bei der Probefahrt nicht frieren müsse.
Im Mai 1938 wurde mein Vater als Sachverständiger bei der Handwerkskammer Hamburg vereidigt.
Steyr Vertretung
Nach dem Ende von Austro-Daimler betrieb mein Vater seine Werkstatt in Hamburg speziell für das Fabrikat Steyr mit gutem Erfolg weiter.
Im Jahre 1939 wollte mein Vater einen Verkaufsladen für Steyr-Fahrzeuge eröffnen. Daraus wurde auf Grund des kurz darauf beginnenden 2. Weltkriege nichts mehr, da es in diesem Jahr bereits die Einziehung von Kfz für die Wehrmacht gab und ein Verkauf von Fahrzeugen unmöglich wurde.
Er konnte während des 2. Weltkrieges wegen einer Augenerkrankung nicht eingezogen werden und wurde für dienstunfähig erklärt, musste aber im Werkstattbereich für die Wehrmacht arbeiten.
Im Jahre 1945 – Einmarsch der englischen Truppen in Hamburg – wurde zum Beispiel dem Eigentümer der weltbekannten Hamburger Werft Blohm und Voss, Herrn Robert Blohm, sein Steyr 630 enteignet. Dieser wurde durch einem VW ersetzt. Dieser Steyr ist in der Werkstatt meines Vaters betreut worden. Robert Blohm hat sich wohl noch später an dieses Fahrzeug erinnert, wie aus einem Gratulationsschreiben an meinen Vater hervorging (im Jahre 1973). Ebenfalls ein Schreiben von Herrn Herbert Mühle aus dem Jahre 1973.
Die letzten Fahrzeuge der Marke Steyr wurden Mitte der 1950-Jahre instandgesetzt. Danach baute mein Vater auf eigenem Grund einen Tankstellen- und Garagenbetrieb auf, den er erfolgreich bis zum Eintritt ins Rentenalter führte.
Mein Vater verstarb im Jahre 1994 in Hamburg.

Das Motorrad
In der Andraegasse 6 in Josefstadt Wiener Neustadts entstand Mitte der 1920er Jahre ein selbstkonstruiertes und selbstgebautes Motorrad.
Motorrad mit 4-Takt SV Motor
Kurze Technische Angaben und Besonderheiten:
Bohrung 54mm
Hub 80mm
Hubraum 183,2ccm
Zündung Bosch-Magnet
Leistung 2PS
Drehzahl 2500U/min
Motor 4Takt SV
Schmierung Frischölschmierung einstellbar
Getriebe 3 Gang Sturmey Archer (Zukaufteil)
Vergaser AMAC (Zukaufteil)
Bremsen Klotzbremse mit Bremsfelgen am Vorder- und Hinterrad
Gabel System Druid, vermutlich Zukaufteil
Bereifung Luftreifen 26x2.1/4
Hinterradständer, Gepäckträger.
Eigengewicht 80kg
Besonderheiten: der Zylinder ist gegen die Fahrtrichtung aufgesetzt, das Auspuffrohr ist hinten angeschlossen, die Ventilsteuerung ist ebenfalls hinter dem Zylinder.
Es wäre denkbar das ein Austro Daimler Zylinder eines 3,5PS Feldbahnaggregates für den SV-Motor adaptiert wurde. Der Zündmagnet ist ebenfalls genau die Type wie beim AD 3,5 PS FB-Motor!
Eine Zahnradkaskade treibt die Nockenwelle und den Zündmagneten. Sattel und Fußrasten sind verstellbar angeordnet.
Zugelassen war die Maschine in Wr. Neustadt von 1927 bis 1928
mit dem Kennzeichen B XXIII 716.
Das Motorrad mit OHV-Sportmotor
Für dieses Motorrad wurde ein OHV-Motor (Vermutlich ein Umbau) entworfen, über diese sportliche Variante sind kaum Technischen Angaben übermittelt worden.
Von 1928 bis 1937 war die Maschine in Hamburg unter dem Kennzeichen HH 3916 zugelassen. Der Deutsche Typenschein verrät uns das in diesem Zeitraum einen Motor mit 255ccm eingebaut war und das Motorrad damit nun 87 kg auf die Waage brachte.
Dieser Motor samt Vergaser, Magnet, Getriebe und Kupplung hat überlebt und wurde dankenswerterweise von der Familie Hans Markowitsch aus Hamburg an das Museum St. Peter / Sperr Wiener Neustadt übergeben.
Aus seinem Austro Daimler Zeugnis aus 1927 zitiere ich hier wortwörtlich: „Franz Markowitsch ist ein ausgezeichneter Fahrer und Facharbeiter dessen Leistungen weit über das Mittelmaß hinausragten! Seine besonderen Fähigkeiten veranlassten uns ihn wiederholt auf längere Auslandsreisen zu schicken, um dort Montagearbeiten zu erledigen. Er hat sich das in ihn gesetzte Vertrauen stets würdig erwiesen und durch seine Leistungen aller bestens zufrieden gestellt, sodass wir ihn jedermann wärmstens empfehlen können“
Ich habe einige Zeugnisse in unserem Archiv, aber so eine Gute Bewertung ist mir bisher noch nicht untergekommen!